Vater wird mit zunehmenden Alter immer schwieriger

Hallo ihr Lieben,

ich muss mal etwas loswerden, was mir aktuell sehr auf der Seele lastet und mich würde interessieren, ob es dem ein oder anderen auch so geht.

Mein Vater ist letztes Jahr nach von ihm lang ersehnter Zeit in Rente gegangen. Zusätzlich gab es in den vergangenen Jahren die ein oder anderen gesundheitlichen Baustellen inklusive Krankenhausaufenthalt, jedoch nichts all zu dramatisches.
Ich würde behaupten mein Vater war charakterlich schon immer der „nette“ Egoist, an Gesprächen wurde sich eigentlich nur beteiligt, wenn es ihn betraf oder das Thema interessierte, sein eigener Freundeskreis besteht nur aus Menschen, die genau die gleichen Interessen/Hobbies ausüben - zu anders denkenden Menschen konnte mein Vater nie eine Verbindung aufbauen und den Haushalt und Erziehung hat immer zu 100% meine Mutter, trotz fast voller Arbeitsstelle, ausgeführt. Mein Vater war zwar immer für uns alle da, aber ich würde behaupten immer nur so wie es ihm gepasst hat.

In den letzten Jahren hat sich meiner Meinung nach vieles der negativen Aspekte sehr verstärkt, Gespräche drehen sich fast ausschließlich und stundenlang um seine Wehwehchen und werden (auch Fremden) wiederholte Male ins kleinste Detail erklärt. Generell ist er viel negativer geworden und meckert immer mehr über alles Mögliche.
Die Leidtragende ist eigentlich meine Mutter, die vieles abbekommt und sich schlecht wehren kann, da sie sonst mit Ignoranz bestraft wird.
Jetzt wo er in der Rente ist sollte er sich zumindest um sein eigenes Zimmer (mit kleinem Bad) kümmern, das hat vorne und hinten nicht geklappt. Nach einiger Zeit war alles dreckig, chaotisch und nicht mehr hinnehmenbar, geschämt hat er sich nicht als meine Mutter alles auf Vordermann gebracht hat. Auch wird er immer unselbstständiger, z.B. Parken im Parkhaus will er schon nicht mehr allein, weil er nicht genau weiß wie das mit dem Ticket funktioniert….

Für mich ist das alles erst so richtig bewusst geworden, als mein Vater zuletzt im Krankenhaus war. Trotz super Versorgung und gewissen Vorteilen (mein Mann arbeitet dort) wurde mein Vater nach kurzer Zeit, als es im schon besser ging, unerträglich. Er konnte es überhaupt nicht ertragen, dass er ein Zimmer mit anderen teilen mussten, die andere Bedürfnisse hatten als er. Jedes Geräusch, jeder Besuch hat ihn aufgeregt, sein Verhalten wurde immer aggressiver und stand für mich nicht mehr im Verhältnis dazu, dass ihm so gut geholfen wurde und er so schnell gesund wurde. Seine Laune hatte er aber nur an uns rausgelassen, zu allen anderen hatte er immer gesagt, dass alles okay sei. Letztendlich konnte er früher entlassen werden, anstatt wenigstens dann wieder etwas positiver zu werden, hat er seine schlechte Laune mehrere Tage an meiner Mutter rausgelassen.
Eine Entschuldigung für sein negatives Verhalten mir gegenüber während des Krankenhausaufenthaltes habe ich nicht mal erwartet, aber Nachfragen nach mir (bin aktuell schwanger) oder meiner beruflichen Situation hat es auch jetzt nicht gegeben, stattdessen geht es weiter mit Erklärungen über seinen aktuellen Gesundheitszustand.

Verändern will ich ihn gar nicht, in guten Zeiten ist auch alles okay aber ich mache mir so langsam Gedanken, wie es wohl in den nächsten Jahren werden wird, wenn er jetzt schon mit Mitte 60 so ist.

Würde mich über ähnliche Erfahrungen von euch interessieren.

Liebe Grüße 🙂

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Spontane Idee: Beginnende Demenz / Alzheimer könnt ihr ausschließen? Dadurch kann sich das Wesen ja auch sehr unangenehm verändern. Wenn es "nur" altersbedingter Starrsinn ist, würde ich es mal mit Schocktherapie versuchen - einfach knallhart sagen, dass seine Laune nervt und dann eben einfach gehen. Schwierig für deine Mutter, klar, aber man muss sich nicht alles bieten lassen. Und auch mit Ü60 ist man, Gesundheit vorausgesetzt, in der Lage, sich um ein (!) Zimmer zu kümmern. Notfalls sagt man "Horst, tu es selbst oder zahl die Putzfrau!" Dass Männer seiner Generation erziehungsbedingt nicht die größten Hausmänner auf Erden sind - geschenkt. Aber wenn sich jemand nicht mal bemüht, ist Schluss mit lustig :-D

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Lieben Dank für deine Antwort.

Tatsächlich kam mir der Gedanke Demenz auch schon einmal in den Sinn, wir werden es auf jeden Fall weiter im Blick behalten, gerade meine Mutter ist dahingehend sehr sensibel.
Im Moment tendiere ich aber zu Altersstarrsinn und Veränderungen durch das eigene alt werden..

Wie du sagst bin ich auch der Meinung, eine Grenze für sich klar zu formulieren. Ich denke ich bekomme das auch oftmals hin.. meine Mutter ist aber eine sehr weiche Person und sehr friedliebend und traut sich deshalb wenig Kontra zu.
Naja, ich hoffe, dass es erstmal nicht schlimmer wird 😌

Bearbeitet von Sonnenregen1
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Hm, ich hatte einen ähnlichen Fall im Verwandtenkreis, allerdings ohne Aggression. Gedächtnis topp, immer aktuell informiert, immer freundlich, eher zurückhaltend. Dann wurde der Aktionskreis immer kleiner, zunächst ging es einmal im Monat in die Nachbarstadt zwecks Kontoauszug etc. und in die Kneipe, Post, Supermarkt im Ort mit dem Taxi. Dann nur noch in die Kneipe und einmal im Monat in die Stadt, worauf er sich seelisch auch den gesamten Monat vorbereiten musste. Dann wurde alles eingestellt und er ging nur noch zum Rauchen vors Haus und holte an der nahe gelegenen Tankstelle einmal wöchentlich Zigaretten. Dann bat er andere, das zu erledigen.
Parallel wurde sich immer weniger umgezogen und gewaschen, angeblich wegen Neurodermitis (erklären konnte er das immer sehr gut). Mit Kleidung geschlafen. Am Ende war es eine Überwindung, einmal pro Woche NUR den Pullover zu wechseln, alles andere blieb an, außer den Schuhen. Der Pulloverwechsel selbst dauerte vielleicht 2 min, die Entscheidung, das unter Druck - "sonst fahren wir nicht raus" - zu tun, dauerte bis zu 30 min.

Jedenfalls endete es irgendwann im Krankenhaus mit offenem Fuß und komplett Check von Sozialstation, Pflegeantrag, Geriatrie. Dort wurde einmal Demenz in den Raum geworfen, aber später gesagt, wenn geistig nichts vorliegt, könnte es keine Demenz sein. Der Mensch lebte danach noch 4 Jahre und geistige Einbußen hatte er in der gesamten Zeit nicht, nur kurz (14 Tage) vor seinem Tod brachte er einiges durcheinander, hatte da aber auch eine verschleppte Lungenentzündung, was evtl. dazu beigetragen haben könnte. Die Sachen, die er durcheinander brachte, waren relativ harmlos, er verlegte seinen Geburtsort und behauptete im Gespräch mit Physiotherapeuten, er hätte irgendeine Lieblingsgartenpflanze, war aber sein Leben lang nie freiwillig in einem Garten gewesen. Also, die Behauptung kam eher durch die Gesprächslenkung der Physiotherapeutin zustande, die über den Baum vorm Fenster reden wollte und er wollte vielleicht nicht sagen, dass er keine Ahnung von Pflanzen hätte.

Nachdem Demenz im Raum stand, habe ich konkret bei der Geriatrie gefragt, ob das sein könne, wenn geistig nichts vorlag und die meinten, nein. Es gibt zwar eine Form, die sich sehr langsam entwickelt, aber vermutlich nicht 4 Jahre keine geistigen Einbußen zeigen würde.

Von daher würde ich sagen: Es gibt eine Art Verwahrlosung und es gibt ("Alters-")Depression und auch Angststörungen. Meine Vermutung war, dass es bei uns Anteile dieser Faktoren waren.

Geholfen hat der Pflegedienst (der erst mit großen Ängsten verbunden war wegen Autonomieverlust) und ein "strenges" Regiment zu Hause. Sprich: Die Partnerin gab vor, dass einmal in der Woche eine Haushaltshilfe zum Säubern und Aufräumen seiner Räume kam. Der Pflegedienst kam alle 2 Tage und bekam ihn ca. einmal in der Woche zum Baden, oft nicht jeden Tag zum Waschen oder Umziehen, aber deutlich häufiger als die Familie das vorher geschafft hatte. Er hatte jetzt den Vorteil, dass er von Natur aus relativ "fügsam" war, schon immer vieles "um des lieben Friedens willen" gemacht oder in Kauf genommen hatte.

Diese beiden Faktoren, Angst und Depression, würd eich aber mal erkunden und darüber mit Ärzten reden.
Wir haben damals beim psychosozialen Dienst angerufen und bei der Krankenkasse vor Ort nachgefragt. Das brachte kein Ergebnis, da hieß es, jeder hätte das Recht auf Verwahrlosung.
Erst die Sozialstation im Krankenhaus wurde sehr schnell und umfangreich tätig.
Da kam aber auch jemand mit lange getragener Wäsche, offenem Fuß, gelben Hautschuppen an Füßen und Beinen vom längeren Nicht-Waschen und durch eine Panne (er wurde in der Eile eine Ikeatüte mit seinen Sachen gepackt, die in der Notaufnahme verblieb und dann im Schrank nicht gefunden wurde) ohne Kleidung, also einen Tag im Krankenhaushemd. Daher wurde er erst mal isoliert und man wurde halt auf seinen Zustand aufmerksam.

Leider wurde die Psyche gar nicht behandelt, er hatte wahnsinnige Angst vor Psychiatrie, Psyhoologe, Pflegeheim, weil er das alles mit Entmündigung verband und einmal wurde bei einer Entlassung nach mehreren Wochen lapidar gesagt, wenn jemand depressiv sei, solle man den einfach so lassen, einige Menschen würden so sein wollen. (Yikes!)

Mein Fazit war:
Vorgabe von Strukturen!!!
Wir hatten viel zu lange "Respekt vor seiner Würde" und wollten daher nicht zu offen sagen, dass er etwas ändern müsse.

Strukturen bedeutete bei uns:

Zweimal am Tag mindestens essen.
1 L Wasser pro Tag trinken.
Ziel: Einmal am Tag umziehen, möglichst immer, wenn der Pflegedienst kommt.
Pflegedienst wurde vom Krankenhaus vorgegeben, Punkt!!
Haushaltshilfe kommt einmal in der Woche und säubert die Zimmer und räumt auf ("Sonst kommt das Gesundheitsamt", so die Ehefrau, die aber eher nur noch WG-Partnerin war und quasi nichts mehr mit ihm zu tun hatte).
Neuerungen ankündigen und ihm Zeit geben.
Wir hatten einen Panikanfall, als ihm jemand den Sport-Pay-TV-Sender installierte. Als wir ins Restaurant wollten, das noch nicht offen hatte und wir eine runde mit dem Auto um den Block fahren wollten. Auf die Autofahrt war er nicht vorbereitet.
Einmal waren wir mit ihm in der Stadt, bei der Bank und wollten danach kurz ins EKZ. Die Rolltreppe hatte an der Seite einen Spiegel. Das führte zu völliger Panik und sofortiger Flucht aus dem EKZ.Danach wollte er dort nie wieder hin.

Wir haben solche Sachen möglichst akzeptiert, aber der Grad zwischen nötiger Hilfe und "Zwang" und menschenfreundlichem Laissez-Faire (um Stress zu vermeiden) ist sehr schmal.

Aussage im KH_Angehörige schaffen es meist nicht, Veränderungen durchzusetzen.


Tatsächlich reagierte er später im Pflegeheim auf Pflegerinnen viel entspannter. Aber auch dort fügte er sich eher, weil er Angst hatte, sonst "Ärger" zu bekommen, nicht, weil er wirklich die Notwendigkeit einsah.

Am besten halfen Routinen.
In der Geriatrie bekam er einen Kleiderhaken an der Wand, an dem morgens seine Tages- und abends seine Nachtkleidung hing und die Vorgabe, das eben zweimal täglich zu wechseln. Das klappte sehr gut, hätte aber zu Hause mit Angehörigen NIE geklappt.

Bearbeitet von Toschkalee
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Guten Abend,
vielen Dank für deinen ausführlichen Erfahrungsbericht.
Tatsächlich sind mir auch viele dieser Entwicklungen von älteren Menschen beruflich begegnet.
Ich hoffe natürlich, dass es so nicht in absehbar Zeit eintreten wird. Behalte auf jeden Fall deine Erfahrungen im Hinterkopf.

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Was macht den dein Vater jetzt mit seiner neuen Freizeit? Die Menschen gehen von der Arbeit und vielen Strukturen auf einmal in eine Zeit in der sie sich selber strukturieren müssen. Damit können die Leute vollkommen überfordert sein. Sie haben dann keine Aufgabe mehr im Leben und sind dann auch unzufrieden mit sich selber. Ich würde diesen Weg mal einschlagen, dass er den Übergang in die Rente einfach nicht ordentlich geschafft hat. Habe das schon öfter gehört, weshalb man schauen sollte, ob Hobbys oder andere Aufgaben da sind, die Körper und Geist noch fördern sonst baut der Mensch auf lange Sicht einfach ab.
Bei Demenz wäre es einfach das vergessen. Er meckert und das würde ich eher auf die eigene Unzufriedenheit zurück führen.

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Hallo, danke für deine Gefanken dazu.
Mein Vater hat schon immer sehr viel Zeit mit seinen Hobbys/Interessen verbracht, sein Beruf war im eigentlich in den letzten Jahren nur noch eine Last. Jetzt nutzt er die meiste Zeit auch für sein Hobby, tatsächlich glaube ich aber auch, dass ihm etwas „realer“ Alltag fehlt. Laut ihm hätte er auch in letzter Zeit viel Stress gehabt.. Ich frage mich zwar welchen aber das ist scheinbar dieser Rentnerstress.

Das er unzufriedener geworden ist, habe ich auch im Gefühl, kann es jedoch nicht ganz nachempfinden.. er bezieht vieles negativ auf seinen gesundheitlichen Aspekt, wobei dieser im Rahmen eines normalen Alterungsprozess und nicht sonderlich schwerwiegend ist.
Vielleicht geht aber auch jeder Mensch anders mit dem älter werden um und mein Vater ist eher derjenige, der alles als sehr schlimm empfindet ..

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Vielleicht ist es auch dieser Übergang in den letzten Abschnitt des Lebens.
Stress kann sehr unterschiedlich aufgenommen werden und finde ich deswegen schwierig zu bewerten, aber da muss halt jeder seinen Weg finden.
Was noch sein könnte, weil du die Gesundheit ansprichst, ob sich Tabletten verändert habe. Bei Einstellungen von Tabletten kann es auch sein, dass es dauert bis man sich an die neuen Tabletten gewöhnt hat und es einen auch mehr Stressen, weil mehr Kontrollen beim Arzt notwendig sind oder man die neue Dosis doch nicht so gut verträgt.

Auf jeden Fall gäbe es noch viele andere Möglichkeiten bevor Demenz die Begründungen ist. Es ist aber auch einfach schwierig mit älter werden Eltern. Kann es nur aus Erfahrung sagen. Sie sehen Sachen halt anders und versteifen sich in Meinungen teilweise. Klar das Gedächtnis lässt auch ein wenig nach, aber das ist ja normal. Ich merke auch, dass es teilweise sehr schwierig ist mit ihnen umzugehen. Es kommt da aber auch sehr auf den Charakter vorher schon an.
Vielleicht wird es dann mit dem Enkelkind auch wieder besser.

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Meine Mutter hat gelernt sich auf die Füße zu stellen. Man muss sich nicht alles gefallen lassen und ihr seid da einfach zu wenig konsequent. Mein Vater versorgt sein Zimmer auch selbstständig.. Wenn auch das gründliche meine Mom erledigt.

Es muss nicht immer eine Krankheit dahinter stecken.. Negative Eigenschaften verstärken sich mit dem Alter auch ohne sie.

Bisschen Gegenwind schadet dem guten nicht.. Versucht es einmal.. Leidtragende ist in diesen Fall deine Mom die das noch minimum 20 Jahre ertragen muss.