Mann kurz vorm Burnout und viele Baustellen - was soll ich jetzt tun?

Hallo,

mir beschert unsere Lebenssituation aktuell schlaflose Nächte und ich brauche eure Außenperspektive für die Frage wie wir jetzt am besten weiter machen.

Mein Mann war schon immer ein Arbeitstier für den "erst die Arbeit, dann das Vergnügen" galt und oft war es so, dass es so viel Arbeit war, dass für das Vergnügen (z.B. größere Urlaube) gar keine Zeit war.
Nachdem er schon seit mindestens 3 Jahren mit Schlafproblemen, ständiger Erschöpftheit und dem Gefühl keine richtige Freude mehr zu empfinden, kämpft, steht er laut des Hausarztes nun wirklich kurz vor dem Burnout.

Wir haben ein Kleinkind, dass erst ab diesem Sommer in die Kita gehen wird und keine Familie in erreichbarer Nähe für kurzfristige Notfallbetreuung.
Unser Kind hat nach einer dramatischen Geburt außerdem mit diversen gesundheitlichen Folgen zu kämpfen, weshalb ich sehr viele Therapietermine und Arztbesuche mit ihm habe.

Wir wohnen in einer Mietwohnung, die innerhalb des nächsten Jahres definitiv zu klein für uns wird. Außerdem liegt sie in einem Stadtteil, der uns mit Kind inzwischen zu unruhig und stressig ist.
Generell fühlen wir uns in dieser Stadt nicht mehr 100% wohl und die Dörfer im Umland gefallen uns leider auch gar nicht. Wir würden aber schon gerne deutlich ruhiger und naturnah wohnen.
Es steht also auch seit längerem die Frage im Raum, ob wir nochmal weiter weg ziehen in eine deutlich kleinere Stadt, die uns beiden sehr gut gefällt.
Damit sind aber natürlich tausend Unwägbarkeiten verbunden. Mir wäre wichtig, dass der Stadtwechsel wenn, dann sehr bald stattfindet, bevor unser Kind hier zu sehr Wurzeln schlägt.

Gleichzeitig ist mein Mann gerade in einem Zustand, in dem er (glaube ich) keine vernünftige und durchdachte Entscheidung mehr treffen kann. Er kann sich nichtmal dazu entschließen, sich wie vom Arzt vorgeschlagen, erstmal krankschreiben zu lassen. Gleichzeitig ist er aber total am Limit und für mich wirkt es so, als könne es jederzeit soweit sein, dass wirklich gar nix mehr geht.

Ich denke, um da rauszufinden, braucht er mehr als ein paar Wochen Krankschreibung. Ich glaube, dass er eine Therapie bräuchte, um seine Denkmuster aufzuarbeiten, die dazu führen, dass er die Arbeit immer und immer wieder als Priorität Nr. 1 einstuft, obwohl es ihn nicht glücklich macht.
Er sieht die Notwendigkeit aktuell aber noch nicht. Er sagt, es läge an den Rahmenbedingungen seines Jobs. Leider geben ihm die Statistiken recht, denn sein Beruf bringt nachgewiesenermaßen ein hohes Risiko für Burn out. Dennoch: er hatte dieses Problem auch schon zuvor, als er in einem anderen Berufsfeld gearbeitet hat. Es hat also schon auch etwas mit seiner Persönlichkeit zu tun.

Mir tut es im Herzen weh, meinen Mann so leiden zu sehen. Gleichzeitig bin ich wütend, weil ich so hilflos bin und eigentlich selbst seit der Geburt unseres Kindes immer am Limit bin. Da er immer zu 150% mit Arbeiten beschäftigt war, habe ich alles rund ums Kind und seine Erkrankungen inklusive aller harten Nächte ganz alleine geregelt. Ich hatte und habe kaum mal Zeit für mich oder nur die wichtigsten eigenen Termine wie einen Zahnarzttermin oder so.
Nach der schlimmen Geburt bräuchte ich vermutlich eigentlich selbst eine Therapie zur Verarbeitung, aber ich sehe momentan einfach überhaupt keine Chance, dass zeitlich irgendwo unterzubekommen. Und mir fehlt ehrlichweise auch die Energie mich noch um irgendetwas anderes als unser Kind zu kümmern.

Gleichzeitig ist da auch Wut auf meinen Mann. Ich habe die letzten Jahre auf so vieles verzichtet: tolle Urlaube, schöne Paar- und Familienzeiten, Unterstützung in den harten Babynächten ... und trotzdem hat er sich selbst so runtergewirtschaftet, dass hier ein Mensch vor mir sitzt, der außer funktionieren nichts mehr kann und will.

Ich bin gerade einfach so ratlos und weiß nicht, was ich jetzt tun soll. Meinem Mann geht es sehr schlecht, aber er macht gerade einfach so weiter (bis auf etwas Meditation und mehr Sport). Ich bin selbst erschöpft. Wir müssen uns innerhalb des kommenden Jahres dringend um das Wohnungsthema kümmern und damit verbunden ist auch die Frage nach dem Wohnort, die mich sehr umtreibt.

Was würdet ihr an meiner Stelle tun?

Danke!

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Nur eine Geschichte, die ich dir mitgeben möchte:

Beppo Straßenkehrer wohnte in der Nähe des Amphitheaters in einer Hütte, die
er sich aus Ziegelsteinen, Wellblechstücken und Dachpappe selbst
zusammengebaut hatte. [...]
Er fuhr jeden Morgen lange vor Tagesanbruch mit seinem alten, quietschenden
Fahrrad in die Stadt zu einem großen Gebäude. Dort wartete er in einem Hof
zusammen mit seinen Kollegen, bis man ihm einen Besen und einen Karren gab
und ihm eine bestimmte Straße zuwies, die er kehren sollte.
Beppo liebte diese Stunden vor Tagesanbruch, wenn die Stadt noch schlief. Und
er tat seine Arbeit gern und gründlich. Er wusste, es war eine sehr notwendige
Arbeit.
Wenn er so die Straßen kehrte, tat er es langsam, aber stetig: bei jedem Schritt
einen Atemzug und bei jedem Atemzug einen Besenstrich. Dazwischen blieb er
manchmal ein Weilchen stehen und blickte nachdenklich vor sich hin. Und dann
ging es wieder weiter: Schritt – Atemzug – Besenstrich – – –.
Während er sich so dahinbewegte, vor sich die schmutzige Straße und hinter sich
die saubere, kamen ihm oft große Gedanken. Aber es waren Gedanken ohne
Worte, Gedanken, die sich so schwer mitteilen ließen wie ein bestimmter Duft, an
den man sich nur gerade eben noch erinnert, oder wie eine Farbe, von der man
geträumt hat.
Nach der Arbeit, wenn er bei Momo saß, erklärte er ihr seine großen Gedanken.
Und da sie auf ihre besondere Art zuhörte, löste sich seine Zunge, und er fand
die richtigen Worte.
„Siehst du, Momo“, sagte er dann zum Beispiel, „es ist so: Manchmal hat man
eine sehr lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann
man niemals schaffen, denkt man.“
Er blickte eine Weile vor sich hin, dann fuhr er fort: „Und dann fängt man an,
sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedes Mal, wenn man aufblickt,
sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man
strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist
man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor
einem. So darf man es nicht machen.“
Er dachte einige Zeit nach. Dann sprach er weiter: „Man darf nie an die ganze
Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt
denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer
wieder nur an den nächsten.“
Wieder hielt er inne und überlegte, ehe er hinzufügte: „Dann macht es Freude;
das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“
Und abermals nach einer langen Pause fuhr er fort: „Auf einmal merkt man, dass
man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt
wie, und man ist nicht außer Puste.“ Er nickte vor sich hin und sagte
abschließend: „Das ist wichtig.“
Michael Ende: Momo. Thienemanns Verlag, Stuttgart 1973, S. 35–37

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Danke! :)

Ich stehe wohl gerade mitten auf der Autobahn...

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Ehrlich gesagt ist deine Sutuation sehr kompliziert und eine schnelle einfache Lösung wird es ohne einen Sinneswandel deines Mannes nicht geben.

Ich würde dir empfehlen dir selbst Unterstützung evtl. in Form einer Gesprächstherapie zu suchen oder ansonsten eventuell über eine Mutter-Kind Kur Abstand und externe Hife zu bekommen.


Ich denke nur wenn du selbst wieder etwas Reserven hast kannst du versuchen auf deinen Mann so positiv einzuwirken, dass er eine Therapie macht, was wohl das beste wäre.


Sonst ist die Alternative wahrscheinlich am Ende tatsächlich der Zusammenbruch bei ihm, und auch wenn das soweit kommen sollte ist es besser du bist besser gerüstet und stehst nicht selbst halb im Burn out.

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Ich habe leider auch keinen wirklich konkreten Rat, außer, dass ich den Druck bzgl. der Wohnung rausnehmen würde. Ein Kind kann einen späteren Umzug verkraften - aber dein Mann vermutlich momentan nicht. Geschweige denn sollte er in diesem Zustand eine lebensverändernde Entscheidung treffen. Wenn ich es richtig verstehe, geht es ja nicht nur um ein paar Kilometer, sondern schon um was Größeres.

Rein theoretisch kann der Arzt ihn auch gegen seinen Willen krankschreiben, aber das bringt ja am Ende auch nichts. Vielleicht wäre erstmal eine Online-Therapie eine Idee? Es gibt ja solche von den Krankenkassen zertifizierten Formate zur Überbrückung, bis eine echte Therapie startet. Letztlich muss er ja selber an den Punkt kommen, dass er etwas machen will, und bis dahin könnte das eventuell ein Kompromiss sein...?

Weiß er denn, wie erschöpft du bist? Man ist ja geneigt, jemandem in seiner Position am Ende alles abzunehmen, damit er nicht noch mehr Stress hat. Geteilte Last ist in diesem Fall aber nicht halbe Last. Ist ihm das bewusst? Also dass seine Verweigerung auch dazu führen könnte, dass die Familie zerbricht?

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Ich stimme zu, ich würde die Wohnsituation jetzt auch nicht als Priorität nehmen. Ich würde den Umzug erst planen und angehen, wenn es deinem Mann wieder besser geht und du auch wieder regelmässig durchatmen kannst. Da habt ihr jetzt einfach keine Kapazität dafür. Wenn das Kind dann auch in der Betreuung ist, seid ihr auch weniger zu Hause.

Bezüglich deinem Mann ist es natürlich schwierig wenn er nicht einlenkt. Mehr als mit ihm reden und ihm den Ernst der Lage verdeutlichen fällt mir auch nicht ein.

Bezüglich Urlaub: kannst du nicht mit Kind und einer anderen erwachsenen Person als Unterstützung (Mutter, Geschwister, Freundin) wegfahren ohne Mann, wenn der nicht will? Oder sogar alleine mit Kind irgendwo in ein gutes Kinderhotel, da musst du nicht kochen, putzen usw. nur das Kind betreuen.

Bearbeitet von Rabat
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Es soll auch nicht dein Mann entscheiden, ob er arbeitsunfähig ist, sondern der Arzt. Er soll deinen Mann krank schreiben und ihn zu einem Spezialisten überweisen, der mit ihm eine geeignete Therapie aufgleisen kann. Das Wohnungsthema ist aus meiner Sicht erst mal sekundär.

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Hey Rieke!

Erstmal würde ich mich um eine eigene Behandlung kümmern. Eine Mutter-Kind-Kur wurde schon vorgeschlagen. Es ist wichtig, dass du wieder zu Kräften kommst.

Das nächste Thema ist dein Mann. Ihm würde ich ein paar saftige Worte mitteilen. Letztlich ist es so, dass du seine Aufgaben mitstemmst und dadurch nun selbst sehr ausgelaugt bist. Er wiederum lebt auf deine Kosten, denn er zieht sich raus und lässt dich alleine.
Ich würde ihm sagen, dass ich seinen Kram nicht mehr mache und er sich kümmern soll. So habe ich es bei meinem Mann erfolgreich gemacht.

Liebe Grüße
Schoko.

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bin erleichtert, dass in deinem Text nicht als weitere Baustelle vorkam, dass du wieder schwanger bist.

ich weiß nicht, ob du ein zweites Kind überhaupt Thema ist bei euch, aber falls ja, wäre mein Rat, den Wunsch aufzuschieben.

alles Gute an euch und eins nach dem anderen

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Danke dir.

Ein zweites Kind kommt für mich aktuell absolut nicht in Frage. ;)

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Die Situation ist schwierig.

Ich sehe es auch so, die Wohnung ist erstmal zweitrangig. Das Problem könnt ihr angehen, wenn ihr wieder stabiler seid, es sei denn, es ist akut schlimm und trägt zur Belastung bei, Schimmel oder ständiger extremer Lärm, Drogenkriminalität vor der Haustür. Wenn es nur um den Platz geht, das geht auch noch länger, wenn es bis jetzt ging. Trefft so nicht solche Entscheidungen.

Natürlich solltest du versuchen, deinem Mann verständlich zu machen, dass es so nicht weiter gehen kann.
Du kannst ihn aber nicht zwingen.

Solange musst du dich auch um dich selbst kümmern.

Für euch beide:
Was ist mit einer Familienberatung, wenn gerade eine Therapie noch keine Option ist?
Viele Krankenkassen haben psychologische Krisenhotlines und Online-Angebote bei psychischer Belastung.
Auch Arbeitgeber haben oft psychosoziale Beratungen.
Es gibt viele niedrigschwellige Angebote.

Such dir Hilfe, auch erstmal alleine. Schau gleich morgen früh und ruf irgendwo an.

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Hallo.

Ich rate:

- Mann soll sich krank schreiben lassen und evtl. Kur machen
- Du kannst dich in dieser Zeit auch etwas von "seinen Baustellen" erholen
- ER übernimmt bis zum Kitaplatz das Kind
- DU gehst arbeiten und finanzierst euer Leben (muss man halt ggf. Abstriche machen)
- Wenn es deinem Mann wieder besser geht, überlegt ihr, wohin ihr am besten ziehen solltet

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Danke für deinen Input!

Das mit der Kur für ihn wäre sicher eine gute Sache.

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Burnout dauert mit Behandlung (!) 12 bis 18 Monate, sagte mein Psychiater, und der ist spezialisiert darauf. Dein Mann MUSS - auch gegen seinen Willen - krankgeschrieben werden und unbedingt mindestens 6 Wochen auf psychiatrische Reha. Alles andere lindert ein paar Symptome und ein paar Monate später seid ihr wieder dort, wo ihr wart, nur schlimmer.

Erkundige dich nach einem psychiatrischen Facharzt (der mit burnout/chronischer Erschöpfungsdepression Erfahrung hat) in deiner Umgebung und mach einen Termin aus. Wenn der Arzt gut ist, fühlt er deinem Mann gleich mal körperlich auf den Zahn (spezialisiertes Blutbild, EEG) und das bringt ihn dann vielleicht zum Aufwachen.

Gerade im EEG kann man viel ablesen - ich kenne Burnout-Patienten, die das EEG eines 90-Jährigen hatten (weil alles nur mehr auf Reserve lief). Ich hingegen hatte in scheinbar tiefster Entspannung die Hirnströme eines Menschen, der sich gerade seit Stunden Horrorfilme anschaut, also ein Hirn, das völlig unfähig ist zur Entspannung und ständig überdreht. Kein Wunder, dass es da nicht mehr
weitergeht. Oft braucht man so eine physische Manifestation, damit einem klar wird, wie ernst es ist.

Vermutlich muss dein Mann ab jetzt (bzw nach der ersten intensiven Therapiephase) immer weiter aktiv darauf achten und dagegenhalten, an sich arbeiten, dass er nicht wieder in die Erschöpfungsdepression abdriftet. Das ist ein Lernprozess, lebenslang.

Sämtlich Großprojekte wie Umzug haben jetzt überhaupt keinen Platz. Chronische Erschöpfung ist eine ernsthafte Krankheit. Das ist nicht mit ein bisschen Timeout und ein paar Therapiestunden geheilt. Es braucht ein aktives Umlernen im Joballtag und Verändern der Lebenshaltung.

Eventuell hast du jetzt das Gefühl, ich dramatisiere. Ich spreche aber aus langjähriger Erfahrung. Ich wünsche euch von Herzen alles Gute!

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Deinen Mann kannst du nicht zwingen und nicht ändern - aber dich.

Wenn du selbst Hilfe bräuchtest, geb mit gutem Beispiel voran.

Auch dein Mann wird vermutlich ähnlich denken - keine Zeit, keine Energie, passt halt grade alles nicht.

Nur so ändert sich nichts. Zur Not würde ich einen Babysitter zahlen,

Und dann rede mit deinem appelliere an seine Vernunft. Dass du dich sorgst. Dass du selbst bald am Limit bist und es nicht mehr auffangen könntest. Vielleicht hilft es!