Kriegs-/Fluchttrauma (2. Weltkrieg)?

Nachdem meine Mutter letztes Jahr starb, in hohem Alter, beschäftigen mich einige Sachen. Sie war allgemein schwierig, aber eine Sache machte der ganzen Familie zu schaffen. Sie hat sich nämlich mehr und mehr isoliert, und auch immer wieder versucht den Rest der Familie auch zu Hause zu halten.

Und ich hab schon länger die Vermutung, dass es mit der Flucht zu tun hat. Sie kam als 15-jährige 1945 mit Mutter und Geschwistern aus Ostpreussen. Es war allerdings keine besonders traumatische Flucht, soweit ich weiss. Meine Oma hatte die Geschichte mal aufgeschrieben. Natürlich weiss man nicht, ob sie etwas negatives ausgelassen hat. Aber so weit ich weiss, sind sie mit dem letzten Zug mitgekommen und erst mal in Berlin geblieben, haben da sogar eine Wohnung bekommen und sind dann nach einigen Monaten als die Russen nachkamen weiter nach Schleswig-Holstein (sind von einem Lastwagen mitgenommen worden und auch ein Stück Zug gefahren) und sind dort bei Bauern einquartiert worden. Sicher nicht toll, aber auch keine Katastrophe. Nach ungefähr 2 oder 3 Jahren sind sie dann an die Mosel gezogen, da in eine Barracke. Und da kam mein Opa später auch zurück aus Kriegsgefangenschaft.

Als meine Mutter dement wurde und ins Altenheim kam (da war sie schon sehr dement), irrte sie oft rum und wusste nicht wo sie ist. Das ist natürlich nicht ungewöhnlich für Demente. Aber sie fragte auch ein paar mal, ob wir eine Unterkunft haben und sagte, es sei das Wichtigste irgendwo unterzukommen. Da dachte ich auch - Erinnerungen an die Flucht. Sie war da wohl wieder in dieser Zeit. Aber es war nicht so als ob sie da Panik gehabt hätte. Eigentlich schien ihr diese Situation keine Angst zu machen.

Mein Mann meinte auch, sie muss doch irgendwie eine Phobie gehabt haben, dass sie mehr und mehr nur zu Hause war. Ich grübelte nämlich darüber, dass sie nicht mal bei meiner ersten Hochzeit war. Wie kann man da einfach zu Hause bleiben? Als wir Kinder waren, war es schon peinlich, weil sie nie auf einen Familienbesuch mit kam. Ausser bei ihren eigenen Geschwistern und Eltern. Aber bei der Schwiegerfamilie blieb sie dann zu Hause. Aber sie ging noch einkaufen und machte die Besorgungen die notwendig waren. Sie war natürlich auch Hausfrau. Das hatte allerdings mein Vater verbockt. Sie wollte damals nämlich gern wieder arbeiten. Auf jeden Fall ging sie hauptsächlich zum Einkaufen raus und vielleicht noch in die Kirche.

Als mein Vater mit 60 in Rente ging, blieb sie ganz zu Hause (sie war auch 60). Da ging er dann zum Einkaufen. Und ich glaube seitdem war sie nicht mehr im Ort. Sie ging nicht mehr aus dem Haus. Ich verstehe das nicht? Wie kann man das machen? Sie hat auch wirklich nette Leute vergrault um bloss nicht mit der Umwelt konfrontiert zu werden. Und sie war nie schüchtern sondern eher forsch anderen gegenüber. Ich hab es nie richtig verstanden. Aber vielleicht hat irgendjemand ähnliche Erfahrungen und kann mir dazu neue Gedanken geben?

1

Das ganze kann gut miteinander zusammen hängen. Du schreibst: "keine besonders traumatische Flucht". Das lässt mich jetzt aufhorchen. Eine Flucht ist immer ein schreckliches und oft auch traumatischen Erlebnis, egal wie unspektakulär die Reise selber war.

Deine Mutter hat als Jugendliche ihre Heimat verloren und musste sicherlich in den Jahren und Monaten davor einiges erleben, egal ob sie das erzählt oder nicht.

So etwas prägt das ganze Leben, den Alltag der Familien und oft auch das Verhalten der Kinder und Enkel.
Wir haben selber auf beiden Familienseiten Fluchterfahrungen und vieles erkenne ich bei uns wieder.

9

Sicher, das ist mir völlig klar. Ich wollte nur, ohne allzu lang zu schreiben, erklären, dass es eben eine Flucht war, ohne die zusätzlichen furchtbaren Greuel, die einem in diesen Zeiten zustossen konnten. Nur um zu erklären, dass die Situation durchaus belastend war, aber nicht total grotesk.

Ja, ich nehme auch an, dass es irgendwie zusammenhängt. Und es ist ja eine Sache, wenn man selbst dadurch ein sehr begrenztes Leben hat. Eine andere Sache ist es, wenn man seine Kinder da mit hinein zieht. Vor allem hab ich eine Wut auf meine Mutter, weil sie dadurch meiner Schwester kein normales Leben ermöglicht hat. Meine Schwester hatte nämlich eine leichte Behinderung und ist voriges Jahr, völlig vereinsamt, gestorben. Ich konnte sie nicht dazu bewegen, ihr Leben irgendwie zu verbessern. Immerhin hatte unsere Mutter ihr eingeredet, sie solle nur nicht auf mich hören, sondern schön bei ihr zu Hause bleiben.

Schon als wir Kinder waren - es wurde immer irgendwie gegengesteuert, wenn wir etwas machen wollten. Wir durften nicht selbstständig werden, schliesslich wollte sie nicht allein sein. Obwohl sie ja unseren Vater auch noch hatte. Sie hat uns teils gegeneinander aufgebracht, teils auch eingeredet, dass wir aus irgendwelchen Gründen nicht mit dem oder dem Kind befreundet sein könnten. Und dann meinte sie wieder : "Ich verstehe gar nicht, was ihr immer für Probleme damit habt. ICH hatte immer Freundinnen. " Der Widerspruch fiel mir erst relativ spät auf. Sie hatte nämlich keine.

Als ich in einem Sportverein anfing, war sie wieder dauernd krank - damit ich zu Hause bleibe. Sicher, sie hatte vorher versucht mich in eine sportliche Aktivität zu stecken. Aber das war etwas, was mir gar nicht lag. Aber dafür war es in der Schule und nachmittags. Ich bin direkt mit 18 ausgezogen und dann auch bei nächster Gelegenheit ins Ausland. Sonst hätte ich nie meine Ruhe gehabt.

2

Eine Flucht ist auch ohne Mord und Totschlag ein sehr traumstisierendes Ereignis. Stell dir mal vor jemand zwingt dich mit Waffengewalt dein Haus zu verlassen und hunderte Kilometer weit weg zu ziehen.

Meine Großmutter war auch eine Vertriebene und wurde in Westdeutschland dann auch noch vom gesamten Rest der Familie getrennt. Sie hat das eher versucht durch Überfürsorglichkeit zu kompensieren.

Es klingt schon so als wenn deine Mutter eine richtige Sozialphobie hatte. Ich bin mir aber nicht sicher ob du verstehst was das bedeutet. Deine Mutter hatte eine Krankheit die sie im wahrsten Sinne des Wortes eingesperrt hat. Sie hat sich das nicht ausgesucht. In gewisser Weise wird sie versucht haben ihr Zuhause damit zu sichern, da sie es in der Vergangenheit mehrfach verloren hat.

Versuch doch etwas mehr Verständnis für sie zu haben. Sie hat es euch gegenüber nicht böse gemeint und versucht euch auf ihre Art und Weise zu schützen. Sie hat ein schweres Trauma durchlebt und Traumatherapie gab es damals nicht.

5

Hallo,
eine Flucht ist immer, immer, immer eine Katastrophe. Sie kann größer oder kleiner sein, aber es ist eine.
Stell Dir vor, Du müßtest jetzt eine kleine Tasche packen und Dein Haus verlassen. Du weißt, dass Du wahrscheinlich nie wieder zurück kommst, aber Du weißt nicht wohin Du gehst. Du kannst nur so viel mitnehmen, was Du tragen kannst. Du weißt nicht, wie lange Du unterwegs sein wirst und was Dich am Ende von diesem Weg erwartet. Es kann sein, dass Du unterwegs Unterstützung erfährst, dass Du irgendwo mitfahren kannst oder einen Unterschlupf findest, aber weißt Du es, wenn Du aufbrichst?
Mein Weg nach Deutschland könnte man fast "Umzug" nennen, denn es war geplant, und wir sind als Familie mit einem Flugzeug hierher gekommen. Ich war 16. Ich dachte damals, ich werde nie, nie wieder die Möglichkeit haben, den Ort, die Menschen noch einmal zu sehen. Seit dem sind mehr als 30 Jahre vergangen, ich war einmal dort. In Deutschland bin ich gut "angekommen" - ich habe meine eigene Familie gegründet, habe Freunde. Aber ich bin entwurzelt. Wenn ich sehe, wie meine Kinder bei uns durch den Ort flitzen und jeden Stein, jeden Baum kennen, weiß ich: ich werde alles tun, damit sie nie, nie, nie so "umziehen" müssen, wie ich. Ich will mir nicht ausmalen, wie sich Menschen fühlen, die WIRKLICH geflüchtet sind. Wie Deine Mutter.

20

Sicher. Das bestreite ich auch gar nicht. Ich versuche nur zu verstehen - z.B. auch folgendes: Vor ihrer Heirat ist meine Mutter durchaus gereist. Nach Holland ans Meer mit einer Freundin, in den Schwarzwald, und, und. Ich bin neulich noch die Fotos meiner Eltern durchgegangen und fand Fotos von meiner Mutter in ganz verschiedenen Gegenden in Deutschland, mit verschiedenen Leuten. Scheinbar ist sie, zumindest in Deutschland, viel rumgekommen in den 50er und Anfang der 60er Jahre.

Und dann wurde es langsam aber sicher immer weniger bis sie gar nicht mehr rausgekommen ist. Und das hat dann uns, meine Schwester und mich sehr eingeschränkt.

weitere Kommentare laden
3

"nicht besonders traumatisch" hat mich auch gleich aufhorchen lassen ...
und da würde ich noch einmal ansetzen, was das Verständnis für das Verhalten deiner Mutter angeht.

7

Und warum hat dich das aufhorchen lassen? Ich meine, mir ist natürlich klar, dass eine Flucht an sich traumatisch ist. Ich dachte nur daran, dass es auch Leute gab, die zurückblieben und praktisch als Sklaven der Russen arbeiten mussten und langsam verhungerten. Leute, die über das Haff übers Eis flohen und manchmal einbrachen und ertranken. Oder eine Grosstante von mir, die nicht nur von einem Russen vergewaltigt wurde und ein Kind von ihm bekam, sondern auch noch gerade ihren Mann verloren hatte und ihr gemeinsames Kind erfror auf der Flucht.
Ich hatte an solche Schicksale gedacht. Es gab ja fürchterliche Schicksale. Irgendwo muss man ja doch unterscheiden. Sicher, das eine ist schlimm, aber doch nicht so schlimm wie die Erlebnisse von vielen Anderen.

11

Du weißt doch überhaupt nicht, was Deine Mutter alles am Wegesrand gesehen/gehört hat. Mag sein, dass sie selber keine Vergewaltigung durchmachen musste - aber vielleicht hat sie diese unmittelbar mitbekommen, hat tote Menschen am Straßenrand liegen sehen, erfroren/verhungert/erschossen, etc....viele Menschen, die Schlimmes durchlebt haben, entwickeln einen unbändigen Verdrängungsmechanismus und lassen auch niemanden in die eigene Gefühlswelt.
Meine Schwiegermutter war als junge Frau Säuglingsschwester auf der Scharlachstation in einem KH in einer deutschen Großstadt. Sie hat nie viel erzählt, was sie da alles erlebt/durchlebt hat. Aber als sie anfing, dement zu werden, ist es immer wieder passiert, dass sie mitten in der Nacht mit nem Koffer und einer Babypuppe in den Keller gehastet ist.
Im Nachhinein wissen wir nun, dass sie bei Bombardierungen im KH dafür zuständig war, die Säuglinge im Luftschutzkeller zu betreuen. Und ich möchte nicht wissen, wieviele dieser Kinder ihr "unter der Hand" wegstarben, weil sie totkrank im eisigen Keller ausharren mussten.

weitere Kommentare laden
4

1945 gab es in Berlin sicher keine Wohnungen mehr und Züge fuhren da auch nicht mehr.

Wenn sie 15 war, ist damit zu rechnen, dass sie Missbrauch erlebt hat.

meine Grosseltern lenten in Nürnberg, da war auch nichts, mein Grossvater wurde weil er sich dem widerstand angeschlossen hatte, öffentlich erschossen 39; mein Vater kam zu Politisch korrekten Menschen!
meine Grossmutter zuerst in gesindehaft, und musst dnn für die Nazis arbeiten, sie wohnte fast 6 Jahre in einem Kellerverschlag, weil es einfach nichts mehr gab .
Flüchtlinge wurde in Wohnungen und Häuser einquartiert, da hatte jede Familie 1 Zimmer, das entschieden die Machthaber dann zwangweise. Du solltest dich mit der Kriegsgeschichte auseinandersetzen.
sichr hatten alle damals ein Trauma, aber das hatten alle, mein anderer Grossvater war bis in Syrien als Soldat zu fuss.
und bis 52 in Kreigsgefangenschaft bei den Russen, über Jahre suppe, wasser und Brot

12

Der letzte Zug von Osterode nach Berlin fuhr am 20.1. 1945 und mit dem sind sie gefahren. Ich weiss das auch aus Berichten von anderen Flüchtenden aus der Gegend.

Und sie war immer sehr genau mit Einzelheiten, daher glaube ich schon, dass das mit der Wohnung stimmt.

Und es wurden ja nun mal nicht alle Frauen vergewaltigt.

28

Entschuldige, aber da muss ich einhaken:
Nur weil sie selbst nicht vergewaltigt wurde, heißt das nicht, dass sie keine Erfahrung damit hat. Das Thema war allgegenwärtig damals und die Angst davor bei JEDER Frau groß.
Meine Oma wurde auch nicht vergewaltigt, aber bei ihrer Mutter wurde es versucht. Meine Oma und ihre Geschwister retteten sie.
Außerdem berichtete meine Oma mir davon, wie die jungen Mädchen sich auf dem Dachboden versteckten und wie die Russen in den Dörfern die Frauen mit vorgehaltener Waffe vor den Augen ihrer Familie abholten (die Mutter von meinem Opa u.a.). Einige der Frauen kehrten nicht wieder.
Man muss die Vergewaltigung nicht selbst erlebt haben um ein Trauma davongetragen zu haben.

Noch ein Buchvorschlag: Anonyma, "Eine Frau in Berlin".

weiteren Kommentar laden
6

Hallo,
Ich weiss nicht ob ich deine Frage bzw. die Beweggründe für deine Frage richtig verstehe, aber ich antworte dir trotzdem weil meine Oma ebenfalls eine Vertriebene war und ich unter einer Sozialphobie leide bzw. litt.
Meine Oma hat ihre Flucht auch nicht als sonderlich dramatisch dargestellt, durch Verwandte und auch Rechere über die Ereignisse in ihrem Heimatort weiss ich, dass es schrecklich gewesen sein muss.
Der Übergang ins Altersheim war auch sehr schwierig, sie wurde depressiv weil sie den doppelten unfreiwilligen Heimatverlust nicht verkraftet hat.
Ansonsten hat sie ein ganz normales Leben gelebt.
Ich hingegen hatte eine Recht normale Kindheit, allerdings mit einer ziemlich "speziellen" charakterlichen Veranlagung. Später hab ich dann eine Sozialphobie entwickelt. Diese Erkrankung kann man schlecht in ein paar Sätze fassen. Du fragst, wie man das machen kann, nicht mehr aus dem Haus zu gehen? Das klingt als wäre es eine aktive Entscheidung. Die Frage ist vielmehr, wieso du nicht mehr aus dem Haus gehen KANNST.
Ich habe Glück, dass ich im 21. Jahrhundert lebe, darüber reden und "geheilt" werden konnte. In der früheren Generation wäre das unmöglich gewesen.
Ich bin mir aber bis heute nicht sicher, ob meine Erkrankung mehr durch äußere Umstände, Veranlagung oder was auch immer entstanden ist. Und du wirst das bei deiner Mutter auch nie erfahren.
Ich bin mir auch nicht sicher, ob ich dich nicht verwechsle, aber kann es sein, dass du hier schon öfter über deine Familienvergangenheit gepostet hast? Wenn ich richtig liege, dann kann ich dir nur raten, dass alles langsam los zu lassen und dich nicht zu sehr mit der Vergangenheit zu beschäftigen.
Alles Gut dir!

15

Es fällt mir schwer, das loszulassen. Es kam wohl auch alles etwas plötzlich, weil meine Eltern und meine Schwester innerhalb von 2 Jahren alle verstorben sind. Und meine Schwester unter ungeklärten Umständen. Oder eher gesagt, es ist unklar woran.

Was meine eigene Kindheit angeht, so habe ich die schon in einer Therapie bearbeitet. Es war wirklich nicht einfach. Egal, was man machen wollte, meine Mutter versuchte dann immer mit "lass das doch mal lieber bleiben". Natürlich fällt es mir da schwer, Dinge anzufangen. Natürlich fällt es mir schwer Kontakte zu knüpfen, wenn man immer hören musste, man soll es lieber sein lassen. Und ich habe bestimmt auch etwas soziale Phobie. Natürlich keine so totale, aber ganz leicht ist es nicht.

Die letzten 20 Jahre klagte meine Mutter öfters mal, dass meine Schwester gar nichts anfängt. Da hab ich meiner Mutter auch ein paar Mal gesagt: "Wundert dich das? Du sagst uns doch immer, wir sollen es lieber sein lassen!" Leider konnte ich bei dem sporadischen Kontakt auch nicht immer einschätzen, wie sehr meine Schwester alles schleifen liess.

Sicher, ich verstehe das mit der sozialen Phobie. Aber ich finde manchmal es passt doch nicht richtig auf meine Mutter. Denn wenn sie auf Leute traf, war sich gar nicht zurückhaltend, sie wirkte nicht unsicher. Sie konnte sich mit Nachbarn über alles mögliche streiten, war auch immer sehr schlagfertig. Aber es kann natürlich sein, dass sie das relativ gut verbergen konnte und sich nicht nur in ihrer Wohnung, sondern auch im Treppenhaus und im Garten sicher fühlte. Kann sein, dass ich doch Anzeichen von Nervosität gesehen habe, wenn sie mit fremden Leuten zusammenkam.

Leider hat sie sich ja mit Händen und Füssen dagegen gewehrt zu einem Psychologen zu gehen.

13

Hi, ich hab zu dem Trauma des Kriegs nichts sagen denke aber das die Flucht auf jeden Fall Spuren hinterlassen hat.

Zu dem Thema nicht aus dem Haus gehen: ich habe eine paranoide Persönlichkeitsstörung, die wird selten erkannt. Ich HASSE es aus dem Haus zu gehen, wenn irgendwas erledigt werden muss und mein Mann ist da macht er es. Ich lebe im Haus und im Garten. Für meine Kinder gehe ich auf den Spielplatz aber wenn Leute da sind werde ich schnell panisch. Öffentliche Verkehrsmittel gehen garnicht. Arbeiten auch nicht mehr, bin selbstständig zuhause. Und ich bin in Therapie. Wenn das deine Mutter auch hatte ohne Therapie dann verstehe ich gut warum sie nicht raus gegangen ist. Es geht einfach nicht, weißt du? Ich zwinge mich und es geht mir nicht gut dabei. Wenn es richtig regnet freue ich mich und gehe raus weil dann sind kaum Menschen unterwegs.
Also vielleicht hatte deine Mutter das auch. Erfahren wirst du es aber nicht mehr, daher wäre es vielleicht besser wenn du mit dem Thema abschließen kannst.
Viele Grüße

22

Interessant. Ja, es ist immer gut von Leuten zu hören, die ähnliches haben. Eine Persönlichkeitsstörung hab ich bei ihr auch schon vermutet, aber ich schwanke da zwischen verschiedenen. Ich glaube nicht richtig an eine paranoide, weil ich nie irgendwelche Anzeichen auf solche Gedanken bei ihr gesehen hab. Aber irgendwas war es. Sie hat es wohl ziemlich damit kaschiert, dass sie so einen Wirbel um andere angebliche Krankheiten gemacht hat.

Denk nur daran, dass es wichtig ist, dass deine Kinder nicht einsam werden. Wenn sie alt genug sind - sag ihnen, dass es an dir liegt, nicht an ihnen. Kinder beziehen das sonst leicht auf sich.

Ich weiss, dass ich damit abschliessen muss, aber ich glaube ich muss das erst noch ein bisschen bearbeiten und dann kann ich damit abschliessen.

17

Ich kann dir zu diesem Thema das Buch „die vergessene Generation“ von Sabine Bode sehr empfehlen. Ich habe es gelesen und sehe seitdem nicht nur meine Großeltern und ihre biographie mit anderen Augen, sondern frage auch, welchen Einfluss diese ungelösten Erfahrungen auf das heranwachsen meiner Eltern hatte.

23

Danke. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich das nicht sogar habe. Oder vielleicht war es eine Fernsehsendung? Danke für den Tip.

55

Die Bücher von Frau Bode waren einige Zeit in den Medien recht präsent, wahrscheinlich hast Du deshalb von ihnen gehört.

Auch ich kann Dir deren Bücher nur sehr ans Herz legen. Sie liefern natürlich keine allumfassende Erklärung für die Dinge oder für bestimmte Einzelschicksale, aber generieren doch ein sehr großes Verständnis für diese Generation, die zu großen Teilen in Deutschland wirklich auf die ein- oder andere Weise fürchterliche Erfahrungen gemacht hat.

In Bezug auf die "nicht so traumatische" Flucht - meine Großmutter musste alleine mit drei Kindern, davon eines ein sehr junges Baby (mein Vater), aus dem Sudetenland fliehen. Auch sie kam immer unter und hat meines Wissens auch keine direkte Gewalt gegen sich, ihre Kinder oder ihre Schwester & deren Kinder, die bei ihr waren, erleben müssen. Nichtsdestotrotz war sie ihr ganzes restliches Leben lang durch diese Geschehnisse schwerst traumatisiert und hat noch im hohen Alter wie ein Kind geweint, wenn sie - was sie immer wieder getan hat - auf diese Zeit zu sprechen kam. Dass diese Erfahrung natürlich Auswirkungen auf ihr eigenes Erleben, die Kinder / das Familienleben hatte, ist nachvollziehbar und ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass dies bei Deiner Mutter nicht anders ist.

Wenn ich richtig gelesen habe, kann Deiner Mutter nun leider nicht mehr geholfen werden, aber wenn Du merkst, dass Dich diese Geschehnisse und vor allem ihre Konsequenzen auf Dich und Deine Schwester belasten, wäre es vielleicht eine Idee wenn Du für Dich eine Traumaberatungsstelle oder einen in diesem Feld erfahrenen Psychologen aufsuchst? Wahrscheinlich brauchst Du gar keine Therapie, vielleicht reichen Dir auch nur ein paar Gespräche mit jemandem geschulten, die Dir helfen Frieden zu machen mit Deiner Familiengeschichte. Eben damit, was ja sehr oft vorkommt, sich die Auswirkungen dieser Erfahrungen nicht in eine weitere Generation ziehen.

weiteren Kommentar laden
19

Das kann so vieles sein.
Die Frage ist: hilft dir das Wissen / Erfahren heute weiter? Stellt es dir neue weitere Fragen?

Von Verwandten kenne ich verschiedene Perspektiven (Alter in der damaligen Zeit, div. Perspektiven, div. Verantwortungen / Hilflosigkeiten).

"Keine besonders traumatische Flucht" klingt ungünstig ausgedrückt.
Es kann sehrwohl ein Trauma auslösen, wenn man plötzlich ohne alles da steht. Hilflos ausgeliefert ist, nicht zu wissen, wie es weiter geht und vieles mehr.
Psychologen und Aufarbeitungsmöglichkeiten gab danach auch nicht.

"und sind dort bei Bauern einquartiert worden. Sicher nicht toll, aber auch keine Katastrophe."
Woher weißt du das? Hat sie gesagt, dass es keine Katastrophe war?
Bei meinen Verwandten war das für einige durchaus traumatisierend.
Aus heutiger Sicht vielleicht nicht vorstellbar. Aus abstrakter Sicht: sei doch froh, dass ihr was bekommen habt.... für einige, die das miterlebt haben, war es demütigend, schlimm, usw.

"Sie war da wohl wieder in dieser Zeit. Aber es war nicht so als ob sie da Panik gehabt hätte. Eigentlich schien ihr diese Situation keine Angst zu machen."

Es schien....
Vielleicht hat sie es auch erfolgreich abgespalten?

Zum Rest: es gibt viele Gründe, warum Menschen nicht mehr aus dem Haus gehen.
Auch Nachkriegsverwandte, davon die nächste Generation.... da fallen mir manche ein. Keinem Alter, keiner Epoche zuordenbar.

Bei einer Person sind es die Augen. Sie sieht schlecht, hört zunehmend schlecht und findet sich nicht mehr gut zurecht.
Bei einer anderen sind es Blasenprobleme. Früh entstanden durch die Geburten. Rückbildung und co gab es nicht in der Form wie heute. Viele Jahre nicht darüber gesprochen. Peinlich und Scham, das beim Arzt anzusprechen.

Andere Erkrankungen. Entweder Scham, das beim Arzt anzusprechen oder keine Krankheitseinsicht, weil es ja gesund so ist. Die anderen sind Irre und bilden sich nur ein.....


Die große Frage ist: was bringt dir das heute weiter?
Abschließen mit der Vergangenheit?
Angst, selbst an etwas ähnlichem zu erkranken?
Eigene Gesundheitsfürsorge?
Verstehen wollen?
Mit Menschen, die mir wichtig sind, spreche ich zu Lebzeiten. Dann bringt mein Verstehen sehr viel, weil ich dann auf ihre Besonderheiten reagieren kann, eingehen kann. Nach ihrem Tod ist es geschichtlich interessant; dazu finde ich aber die Erzählungen aus erster Hand wichtiger als post mortem Spekulationen.

25

Ungünstige Formulierung - offensichtlich. Was ich damit meinte, war eigentlich nur dass jetzt nicht alle zu fragen brauchen, ob da das passiert ist woran die meisten denken - Vergewaltigung, Tötungen, die man mit angesehen hat, Tiefflieger, Bomben - und da wollte ich schon voraus schicken: So weit ich weiss nicht.

Es ist nicht so, dass meine Mutter nichts erzählt hat. Im Gegenteil! Wir wurden ständig und dauernd damit belastet. Ich habe das meiner Mutter auch vorgeworfen, habe gesagt, sie hätte mit einem Psychologen reden sollen, nicht mit mir. Ich war noch ein Kind und hatte Angst vor diesen Erzählungen. Das war übrigens nicht hauptsächlich vom Krieg, sondern mehr von den Schlägen durch ihren Vater.

Daher weiss ich auch, was sie von der Zeit auf dem Bauernhof hielt. Dass die Familie sie nicht haben wollten, usw. Das wurde in allen Einzelheiten und von allen Seiten betrachtet.

Es ist daher nicht so, dass ich nicht die Gelegenheit gehabt hätte, Dinge von ihr zu hören. Eher war es so, dass solange meine Mutter präsent war, drehte sich alles nur um sie. Und man kam überhaupt nicht dazu darüber nachzudenken, wie es den Anderen geht und unsere Beziehungen zueinander und überhaupt. Deshalb hab ich eigentlich erst jetzt die Gelegenheit. Allerdings sind jetzt mein Vater und meine Schwester auch nicht mehr da.

Ich hab irgendwie das Gefühl, ich muss es noch mal abschliessend "auswerten". Damit es dann zur Seite legen kann. Genauso ist es. Und das wird der letzte Thread über meine Familie. Will nicht die Leute nerven.

31

Auf diesen Flüchtlingstrecks war das Sterben normal. Babys, Alte, Kranke, jeder, der irgendwann nicht mehr gehen konnte. Darüber redet nur keiner der Betroffenen, weil es eben so normal war.

Sabine Bode beschreibt das Phänomen in ihren Büchern. Ich habe ihr Buch "Kriegskinder" gelesen, fand den Schreibtstil aber nicht sehr gut und habe es daher irgendwann weggelegt. Es gibt jedoch noch viele andere Bücher von ihr und anderen Autoren.

weitere Kommentare laden
24

Mein Uropa hat mir immer viel vom Krieg erzählt:
Wie er am Westwall als Maurer gebaut hat, wie er nach dem Krieg von Russland den weitesten Teil der Strecke nach Hause zu Fuß gegangen ist, dass es kalt war und er manchmal Hunger hatte.
Wirklich passiert war unter anderem folgendes:
1 Jahr russische Kriegsgefangenschaft,3 seiner Zehen sind dabei abgefroren, die hat er selbst absägen müssen auf einem Acker; er hat sich selbst Zähne ziehen müssen, hat Menschen erschossen und selbst nachts Todesangst im Schützengraben gehabt.

Long Story Short:
Diese traumatisierten Menschen würden sich so gern mitteilen aber können eine gewisse Grenze in den Details nicht überschreiten.
Wer weiß, was deiner Mutter auf der Flucht alles zugestoßen war!

43

Wie gesagt, als meine Mutter dement war, hat sie alles erzählt, was sie uns vorher nicht gesagt hatte. Es sieht mehr so aus als ob die Flucht an sich ein Trauma war.

47

Multiple Traumata stehen in Verdacht, Demenz zu verursachen.
Wenn dich das interessiert kannst du dich dazu belesen, es gibt einiges dazu.
Du kannst stark davon ausgehen, dass deine Mutter das Schlimme nicht erzählt hat, auch nicht mit Demenz.
Und ja, Vergewaltigung und sexualisierte Gewalt waren keine Ausnahme. Eher die Regel.
Dass du das aber nicht in Betracht ziehen möchtest als Tochter, kann ich absolut verstehen.

weitere Kommentare laden